Diagnostik und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung

1 Diagnostik und Therapie der Borderline-Persönlichkeitss...
Author: Eduard Zender
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1 Diagnostik und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung Vorlesung (F2) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Diagnostik und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.3) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE)

2 Vorlesung (F2) Erstellung des Inhalts: Prof. Dr. Martin Lambert Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erstellung des Inhalts: Prof. Dr. Martin Lambert  Lehrbeauftragter Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Martinistr. 52, Hamburg Gebäude W37 Tel.: Fax:

3 Überblick Übersicht zum Krankheitsbild Grundlagen TherapieKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Übersicht zum Krankheitsbild Grundlagen Epidemiologie Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM V Ätiologie / Pathogenese Therapie Psychosoziale Therapie Pharmakotherapie Verlauf und Prognose

4 Übersicht zum KrankheitsbildKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Übersicht zum Krankheitsbild

5 Übersicht zum KrankheitsbildKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Krankheitsaspekt Wissen Lebenszeitprävalenz ca. 3 % Punktprävalenz ca. 1–2 % (stark altersabhängig) Geschlechterverhältnis 1 : 1 Typisches Erkrankungsalter Frühe Adoleszenz bis ca. 45. Lebensjahr Wichtigste Komorbiditäten Posttraumatische Belastungsstörung, Affektive Störungen, Angststörungen, Drogen- und Alkoholabhängigkeit Leitlinien S2-Leitlinie: Bohus et al. (2008); WFSBP-Leitlinie: Herpertz et al. (2007); Cochrane Reviews: Stoffers et al. (2010), Lieb et al. (2010), Stoffers et al. (2012) Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

6 Grundlagen: EpidemiologieKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Grundlagen: Epidemiologie

7 Epidemiologie 1-Jahres-Prävalenz 2% (Lebenszeitprävalenz 6%)Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 1-Jahres-Prävalenz 2% (Lebenszeitprävalenz 6%) Frauen : Männer = 1:1 Im Alter von 15 Jahren haben 6% der Mädchen sich bereits mehr als 3 x im Jahr selbst verletzt 80% der Betroffenen kommen bereits im Alter von Jahren erstmalig in Behandlung Die Patienten befinden sich im Mittel ca. 62 Tage in stationärer Behandlung Suizidrisiko: 7 % Prognose im Behandlungsfall aber gut. In Remission nach 4 Jahren 50%, nach 6 Jahren 68%, nach 8 Jahren 85%. Direkte Kosten ca. 4 Milliarden Euro im Jahr in Deutschland (15% der Kosten insgesamt für psychische Störungen) Neue Studien: ohne spezialisierte Behandlung keine Besserung !

8 Posttraumatische Belastungsstörung: ca. 43 % Komorbidität Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Soziale Phobie: ca. 44 % Posttraumatische Belastungsstörung: ca. 43 % Schwere Depression: ca. 39 % Angst- und Panikstörungen: ca. 24 % Bulimie: ca. 18 % Alkohol: ca. 10 %

9 Allgemeine Kriterien und DiagnostikKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Grundlagen: Allgemeine Kriterien und Diagnostik

10 Überblick spezifische Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Kodierung Typ spezifische Persönlichkeitsstörung F60.0 Paranoide Persönlichkeitsstörung F60.1 Schizoide Persönlichkeitsstörung F60.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung F60.3 F60.30 F60.31 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Impulsiver Typ Borderline-Typ F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung F60.5 Anankastische [zwanghafte] Persönlichkeitsstörung F60.6 Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung F60.7 Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung F60.8 Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen Hier narzisstische Persönlichkeitsstörung untergeordnet F60.9 Persönlichkeitsstörung, nicht näher bezeichnet F61 Kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen

11 Überblick spezifische Persönlichkeits-störungen nach ICD-10 und DSM-IVKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Cluster ICD-10 DSM-IV A Paranoide PS Schizoide PS (Schizotype Störung: F21) Schizotypische PS B Dissoziale PS Antisoziale PS Emotional instabile PS: • Impulsiver Typus - • Borderline-Typus Borderline-PS Histrionische PS Histronische PS Narzisstische PS C Ängstliche PS Selbstunsichere PS Abhängige PS Anankastische PS Zwanghafte PS

12 Allgemeine diagnostische Kriterien:Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeine diagnostische Kriterien: Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, v.a. dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden Unbeständige und unberechenbare Stimmung

13 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3) - impulsiver Typus (F60.30) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein. Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen: deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln, deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden, Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens, Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden, unbeständige und launische Stimmung.

14 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3) - Borderline Typus (F60.31) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein. Mindestens drei der unter F60.30 B erwähnten Kriterien müssen vorliegen und zusätzlich mindestens zwei der folgenden Eigenschaften und Verhaltensweisen: Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und "inneren Präferenzen" (einschließlich sexueller), Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen, übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden, wiederholt Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung, anhaltende Gefühle von Leere.

15 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3) - Borderline Typus (F60.31) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Um die Diagnose stellen zu können, müssen mindestens fünf der neun Kriterien erfüllt sein: Affektivität unangemessene starke Wut oder Schwierigkeiten, Wut oder Ärger zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernder Ärger, wiederholte Prügeleien) affektive Instabilität, die durch eine ausgeprägte Orientierung an der aktuellen Stimmung gekennzeichnet ist chronisches Gefühl der Leere Impulsivität Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (z. B. Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle) wiederkehrende Suiziddrohungen, -andeutungen oder -versuche oder selbstschädigendes Verhalten Kognition vorübergehende stressabhängige paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome Identitätsstörungen: eine ausgeprägte Instabilität des Selbstbildes oder des Gefühls für sich selbst Interpersoneller Bereich verzweifeltes Bemühen, reales oder imaginäres Alleinsein zu verhindern ein Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen

16 Ätiologie und PathogeneseKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Grundlagen: Ätiologie und Pathogenese

17 Überblick Ätiologie und daraus entstehende dysfunktionale VerhaltensmusterKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Genetische Belastung Temperament als Disposition für Reaktion auf Umweltreize Angeborene oder früh erworbene zerebrale Dysfunktion Frühe Traumatisierung (Trennung, Vernachlässigung, emotionaler, physischer, sexueller Missbrauch) Invalidierendes Umfeld (frühe Bindungsstörung) Impulskontrollstörung / Affektregulationsstörung / Beziehungsstörung Probleme in der psychosozialen Orientierung und Stressbewältigung Dysfunktionale Verhaltensmuster Verhaltensweisen, die eingesetzt werden um unerträgliche Spannungszustände zu regulieren, Dissoziation zu verhindern und wieder handlungsfähig zu werden. Die Erleichterung, die empfunden wird, verstärkt diese Verhaltensmuster und verhindert das Erlernen neuer situationsadäquater Strategien. Suizidalität Selbstverletzungen Fremdaggressivität Fressanfälle Missbrauch Alkohol, Tabletten, Drogen Hochrisikoverhalten

18 Therapie: PsychotherapieKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie: Psychotherapie

19 Manualisierte PsychotherapieverfahrenManualisierte Therapieverfahren für Erwachsene: Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) Transference Focused Psychotherapy (TFP) Schematherapie Manualisierte Therapieverfahren für Jugendliche: Transference Focused Psychotherapy for Adolescents (TFP-A) Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A) Therapieverfahren der 1. Wahl: 19

20 Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)Von Marsha M. Linehan entwickelte manualisierte Psychotherapie für Borderline-Persönlichkeitsstörung Kombination von Elementen kognitiver Verhaltenstherapie, Zen-Buddismus und dialektischen Behandlungsstrategien (Balance von Akzeptanz und Veränderung) Basiert auf einem kombinierten Modell von Motivationsförderung und Aufbau von Verhaltensfertigkeiten Einzeltherapie und Fertigkeiten-Trainingsgruppe Telefonkontakte in Krisensituationen 20

21 Fertigkeitstraining in der Gruppe (Skillstraining) DBT allgemeine Inhalte und Ablauf Einzeltherapie Fertigkeitstraining in der Gruppe (Skillstraining) Telefonkontakt im Notfall regelmäßige Intervision der Therapeuten Dauer Wochen Stationär oder ambulant angeboten 21

22 DBT - Zeitliche Struktur der BehandlungVorbereitungsphase Diagnostik Aufklärung über das Störungsbild Aufklärung über die Behandlungskonzeption Klärung der Behandlungsziele Behandlungsvertrag mit Non-Suizidabkommen Hierarchische Gliederung der Behandlungsziele Aufbau von Überlebensstrategien zur Bewältigung suizidaler und selbst- schädigender Verhaltensmuster Aufbau von Therapie-Compliance an Stelle von therapieschädigenden Verhaltensmustern Befähigung zur ambulanten Therapie Aufbau von Fertigkeiten zur Bewältigung von Verhaltensmustern die verhindern, dass die Patientin ambulante Therapie bekommt Aufbau von Fertigkeiten um Hospitalisierung zu vermeiden 22

23 Integration zen-buddhistischer Meditationstechniken DBT – Inhalt im Detail Anwendung kognitiver und verhaltenstherapeutischer Techniken (z.B. Problemlösen, Exposition, kognitive Umstrukturierung, Verhaltensanalysen, Kontingenz- mangement) Elemente aus humanistischen Therapie-verfahren (z.B. Gesprächs-, Gestalt-, Hypnotherapie) Integration zen-buddhistischer Meditationstechniken Betonung der Dialektik, der Validierung und der therapeutischen Beziehung 23

24 Dauer mindestens 2 Jahre Strukturelle Merkmale der ambulanten DBT Dauer mindestens 2 Jahre Bestandteile: Einzeltherapie, Fertigkeitstraining, Telefonberatung, Supervision Mindestens 150 h Einzeltherapie und 100 h Gruppentherapie Einzel- und Gruppentherapie durch verschiedene Therapeuten 24

25 Erlernen grundlegender Fertigkeiten „zum Überleben“ Phasen der ambulanten DBT Erlernen grundlegender Fertigkeiten „zum Überleben“ Reduktion posttraumatischer Belastungsreaktionen Stärkung des Selbstvertrauens und Arbeit an individuellen Zielen 25

26 Reduktion von Suizidalität und Selbstverletzung Therapieziele der stationären DBT Reduktion von Suizidalität und Selbstverletzung Reduktion therapiegefährdenden Verhaltens Reduktion hospitalisierungsfördernder Verhaltensmuster Generierung der erlernten Fertigkeiten 26

27 Eignung/Motivation im Vorgespräch Voraussetzungen der stationären DBT Eignung/Motivation im Vorgespräch Suizidalität und Selbstverletzung im Vordergrund Wenn möglich, keine direkte Übernahme aus dem stationären Setting keine Suchterkrankung im Vordergrund kognitive Fähigkeit 27

28 Vorbereitungsphase (2 Wochen) Hauptbehandlungsphase (6 Wochen) Phasen der stationären DBT Vorbereitungsphase (2 Wochen) Hauptbehandlungsphase (6 Wochen) Abschiedsphase (4 Wochen) 28

29 Aufklärung über Diagnose/ Behandlungs-konzept Vorbereitungsphase Diagnostik (SKID II) Aufklärung über Diagnose/ Behandlungs-konzept Motivationsaufbau und -klärung Aufbau der therapeutischen Beziehung Integration in den Stationsalltag Einzeltherapie, Basis-, 5-Sinne-, Achtsamkeits- und Bezugsgruppe Arbeit an Therapiezielen, Vorstellung im Team Behandlungs- und Non-Suizidvertrag 29

30 Identifikation der wesentlichen Problemverhaltensmuster Hauptbehandlungsphase Identifikation der wesentlichen Problemverhaltensmuster Verhaltensanalyse der letzten Suizidversuche Anleitung zu Selbstbeobachtung und zu Verhaltensprotokollen Erkennen wiederkehrender Verhaltensmuster zusätzliche Teilnahme an Körpertherapie und Fertigkeitstraining 30

31 Integration in das gewohnte soziale Umfeld Abschiedsphase Integration in das gewohnte soziale Umfeld Anwendung und Generierung der erlernten Fertigkeiten im Alltag Kontaktaufnahme zum ambulanten Behandlungsteam Motivation für einen bewussten Umgang mit dem Thema „Abschied“ 31

32 Therapie: PharmakotherapieKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie: Pharmakotherapie

33 Mögliche Begründung für den Einsatz: Psychopharmakotherapie (I) Grundsatz: Psychopharmaka sind bei Persönlichkeitsstörungen immer „off-label“, das heißt es gibt kein Medikament zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung Mögliche Begründung für den Einsatz: Man kann symptomorientiert eine Verbesserung erreichen (z.B. Schlaf verbessern, Depressivität, Ängste, Impulsivität, Wut und psychotische Symptome verringern) 33

34 Psychopharmakotherapie (III)Pharmakotherapie unterstützt, v.a. initial (Cochrane Review 2008) „Alte Neuroleptika“, z.B. Haldol kein Wirknachweis, viele Nebenwirkungen Von den neuen Atypika hat Aripiprazol die besten Effekte in Bezug auf Reduktion von Wut / Ärger, Impulsivität und psychotische Symptome Lamotrigin, Topiramat und Valproat hohe Effekte in Bezug auf Reduktion von Impulsivität und Wut Für Antidepressiva gibt es keine positiven Wirknachweise, außer es besteht gleichzeitig eine Behandlungsbedürftige Depression Behandler sollten sich genau überlegen, welche Symptomatik durch ein Medikament gebessert werden soll, dann Therapieversuch, längstens 3 Monate beobachten, wenn keine Besserung Medikation wieder absetzen... Vorsicht: Gefahr der Polypharmazie 34

35 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bei Fragen bitte unter: